Interview vom 19.Juni
2002
 
Peter Jossen
Leuk-Susten / Brig / Bern / Seit drei Jahren vertritt er als SP-Politiker
das Wallis im Nationalrat. Kürzlich wurde er zum Vize-Fraktionschef
der SP gewählt: Peter Jossen, Advokat und Notar aus Leuk-Susten.
Im RZ-Interview spricht er unter anderem über den Zustand der SP-Fraktion,
die NEAT, die 40-Tönner und die Wahlen 2003.
Von German
Escher und Ruth Seeholzer
Seit
kurzem amten Sie als Vize-Fraktionschef der SP im Bundeshaus. Was ist
die Motivation für ein solches Amt?
Ich
möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass die SP die eidgenössischen
Wahlen 2003 gewinnt. Ich komme sehr gut aus mit der neuen Fraktionschefin
Hildegard Fässler und zwar nicht nur in der Mannschaft des
FC Nationalrat. Ihre Vorstellungen von diesem Amt decken sich mit meinen
Ansichten. Um beim Fussballer-jargon zu bleiben: Wir wollen als Mann-schaft
auftreten und die verschiedenen Stars unserer Fraktion im richtigen Moment
aufs Spielfeld schicken.
Sie
sehen sich also als Assistenztrainer?
Das
stimmt, aber auf gleicher Ebene wie die Cheftrainerin. Ich habe diese
Funktion übrigens schon im Walliser Grossen Rat ausgeübt
damals gemeinsam mit Stephane Rossini. Auch da konnte ich bereits gewisse
Erfahrungen im Umgang mit Stars sammeln... (schmunzelt).
Die
Schlagzeilen der letzten Wochen bestätigen aber das Bild einer zerstrittenen
SP. Ist da der Vize-Fraktionschef nicht eher Dompteur als Assistenztrainer?
Das
mag durchaus sein. Dompteur heisst für mich, dass man die unterschiedlichen
Positionen innerhalb der Fraktion bereinigt und auch nach aussen vertritt.
Allerdings muss ich klar sagen: Der Eindruck, der durch die Medien vermittelt
wird, ist schlechter als die Stimmung in der Fraktion. Aber wir müssen
dieses Bild korrigieren und geeinter nach aussen auftreten.
Die
Sicherheitsdiskussion der SP hat ja aufgezeigt, dass hier Handlungsbedarf
besteht.
Ein
falsches Zitat im Blick" führte zu diesen internen Auseinandersetzungen.
Es hat nie jemand eine Quote für Ausländer in unseren Schulen
gefordert. Die SP-Spitze hat hier zu spät reagiert und hätte
diese Blick-Meldung sofort korrigieren müssen. Das Sicherheitsthema
ist ein berechtigtes Anliegen. Aber ich bin klar der Meinung: Mit dem
Sicherheitsthema kann die SP keine Wahlen gewinnen. Mit der Sicherheitsfrage
würden wir lediglich der SVP den roten Teppich ausrollen. Unsere
zentralen Themen sind die soziale Sicherheit, Kaufkraft und die Krankenkassenprämien.
Ich bin froh, dass diese Sicherheitsdiskussion nicht in der heissen Phase
des Wahlkampfes losging. Aber wir müssen zu diesem Thema eine Position
haben und deshalb haben wir ein Papier in Auftrag gegeben...
...und
darin stehen radikale Forderungen wie DNA-Registrierung von Kleinkriminellen
etc. Das sind schon Postulate, die man eher der SVP statt der SP zutraut.
Die
DNA-Erfassung wird von der SP sicher nicht unterstützt. Das Sicherheitspapier
war eine Diskussionsgrundlage eines aussenstehenden Fachmannes. Viele
Positionen sind sehr umstritten und müssen jetzt von den einzelnen
Arbeitsgruppen begutachtet werden, bevor wir in der Partei eine breite
Diskussion zu diesem Thema führen. Erst dann gibt es verbindliche
Aussagen der SP, an der sich die Partei auch messen lässt.
Zurück
zu Ihnen: Sind Sie mit Ihrer Wahl zum Vize-Fraktionschef den Schatten
ihres Vorgängers Peter Bodenmann losgeworden?
Ich
fühle mich nicht im Schatten von irgendjemandem. Ich habe davon profitiert,
dass viele Leute auch die SP-Präsidenten für diese
Partei gut gearbeitet haben.
Peter
Bodenmann wurde damals ein etwas zu eigenmächtiger Führungsstil
vorgeworfen. Heute ist das Gegenteil der Fall die SP ist führungsloser
denn je, und das anderthalb Jahren vor den Wahlen?
Ich
habe die Amtszeit von Peter Bodenmann als SP-Präsident intensiv miterlebt.
Die politischen Ziele und die Form, wie er die Partei auf Vordermann gebracht
hat, haben wir alle unterstützt. Im Vergleich dazu hat die jetzige
Parteipräsidentin Christiane Brunner zwei Nachteile für dieses
Amt: Sie ist eine Romande und eine Ständerätin. Ein Deutschschweizer
Nationalrat hat es da einfacher auch in der Arena". Trotzdem:
Ich bin zuversichtlich, dass die neue Führungsequipe die SP erfolgreich
in die Wahlen führen wird.
A
propos Wahlen: Mit ihrer Wahl zum Vize-Fraktionschef haben Sie sich weitere
Medienpräsenz gesichert. Trotzdem wird Ihre Wiederwahl sehr schwierig?
Die
Medienpräsenz ist ein wunderbarer Nebeneffekt. Aber ich kann mir
nicht vorstellen, dass man in Bern ohne Gegenkandidaten einen Vize-Fraktionschef
mit Akklamation wählen würde, wenn kantonalpolitische Überlegungen
ausschlaggebend gewesen wären. Am 14. Juni vor drei Jahren kam ich
anstelle von Thomas Burgener in den Nationalrat. Und ich sass von Anfang
an auf einem Schleudersitz. Dass ich im Herbst 1999 überhaupt wiedergewählt
wurde, war aufgrund der Ausgangslage fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Das wird im nächsten Herbst aufgrund der zu erwartenden Listenverbindungen
nicht leichter sein. Die SP Wallis muss im Herbst 2003 gewaltig zulegen,
damit Peter Jossen im Nationalrat bleibt.
Die SP muss den zweiten Sitz verteidigen?
Das
stimmt. Und es wird zugleich auch eine Oberwallis-Unterwallis-Thematik.
Das ganze könnte sich zuspitzen auf die Frage: Gehe ich als Oberwalliser
SP-Nationalrat mit guten Aussichten aufs Präsidium der Geschäftsprüfungskommission
oder geht ein Unterwalliser SVP-Mann beispielsweise Oskar Freysinger
- nach Bern. Das haben die Wähler zu entscheiden. Das erhöht
die Spannung, aber auch den Einsatz der einzelnen.
Sie
sitzen unter anderem in der Kommission für Fernmeldewesen und Verkehr,
die fürs Oberwallis wichtig ist. Was ist hier Ihr Hauptanliegen?
Ganz
klar die Arbeitsplätze und zwar bei der Swisscom, den SBB und
der Post. Hier verstärkt sich der Trend, dass auf die regionalpolitischen
Überlegungen kaum noch Rücksicht genommen wird. Es ist uns gelungen,
diese Tendenz zu brechen beispielsweise mit der Ansiedlung des SBB-ContactCenters
in Brig. Aber man muss in der Schweizerischen Politik stattfinden und
es braucht gute Konzepte, um Arbeitsplätze ins Oberwallis zu holen.
Aus
Oberwalliser Sicht stehen verschiedene Verkehrsfragen auf dem Tapet. Was
halten Sie vom Vollausbau des Lötschberg-Basistunnels?
Ich
bin im Comitée d'intérêts Simplon-Lötschberg
(CISL), das vor kurzem die Forderung nach dem Vollausbau des Basistunnels
bekräftigt hat. Es geht einzig und alleine darum, wie man diese Forderung
durchsetzt. Ein Vollausbau des Basistunnels braucht eine Änderung
der NEAT-Beschlüsse. Das ist nach Einschätzung vieler zurzeit
nicht realistisch, weil die NEAT ein riesiges, regionalpolitisches Paket
ist, das niemand ohne Folgen aufknüpfen darf. Unser Ansatz ist ein
anderer: Es wird Bauverzögerungen am Gotthard geben. Vor diesem Hintergrund
und mit Blick auf die Gotthard-Staus wollen wir an einem runden Tisch
aufzeigen, dass auf der Lötschberg-Simplon-Achse Verlagerungskapazitäten
möglich sind. Dann hat die Forderung nach einem Vollausbau auch nicht
einen Berner oder Walliser Beigeschmack.
A
Propos Schwerverkehr: Auch das Oberwallis leidet unter den 40-Tönnern.
Was sagt da der eidgenössische Verkehrspolitiker dazu?
Alle
wussten, dass bis zur Inbetriebnahme des ersten Basistunnels 2006 eine
schwierige Übergangszeit zu bewältigen ist. Man kann in dieser
Zeit die LSVA nicht voll abschöpfen und damit beispielsweise die
Zahl der Leerfahrten nicht verringern. Deshalb gibt es Kapazitätsengpässe,
die sich bei einem Unfall wie jenem im Gotthardtunnel noch massiv verschärfen.
Wir müssen ehrlich sein: Bis zur Eröffnung der NEAT gibt es
keine andere Möglichkeit, als den Schwerverkehr zu verteilen. Da
gehört der Simplon dazu. Man weiss überall, dass die Situation
unerträglich ist, nicht nur im Oberwallis, sondern auch im Bündnerland.
Aber dieses Problem lässt sich nicht von heute auf morgen lösen.
Hier muss man an die Geduld der Oberwalliser appellieren. Bis zur NEAT-Eröffnung
müssen wir mit den 40-Tönnern leben.
Aber
man könnte doch jetzt eine provisorische Umfahrung in Visp bauen.
Das wäre doch keine Hexerei. Da fehlt es wohl am politischen Willen...
Ich
glaube, dass im Staatsrat und Parlament der politische Wille da ist. Aber
das ist eine kantonale Angelegenheit, in die ich nicht involviert bin.
Aber
aus der Ferne betrachtet: ein Provisorium in Visp ist doch einleuchtend.
Natürlich.
Man muss alles mögliche unternehmen, um die schwierige Zeit bis zur
NEAT-Eröffnung möglichst gut zu überbrücken.
Sie
hatten kürzlich noch einen zweiten Wahlerfolg. Sie wurden zum Präsidenten
der Schweizer Wanderwege gewählt. Haben Sie überhaupt noch Zeit
zum Wandern?
Das
ist eine Definitionsfrage. Wenn ich zuhause bin, laufe ich jeden Tag fast
eine halbe Stunde unter anderem durch den Pfynwald zum Bahnhof.
Da spüre ich immer wieder, wie wertvoll es ist, sich ungestört
bewegen und Eindrücke verarbeiten zu können. Ohne diesen Arbeitsweg"
könnte ich mein tägliches Programm kaum bewältigen. Wandern
hat auch einen meditativen Aspekt.
Und
der politische Aspekt des Wander-Präsidenten?
Man
hat mich als Mitglied der Verkehrskommission für dieses Amt angefragt.
Und das macht durchaus Sinn: Alles, was man unter Langsamverkehr"
zusammenfasst, wird immer wichtiger. In den Agglomerationen wie in den
Tourismuskreisen stellt man fest, dass man Wandern, Velofahren oder Inlineskating
fördern und in die verkehrspolitischen Überlegungen miteinbeziehen
muss. Das betrifft die Städte ebenso wie die Erholungsgebiete. Sanfter
Tourismus, die Erhaltung historischer Wege, die Kombination mit einheimischen
Produkten usw. sind mir besondere Anliegen.
Ein
Flair für Landwirtschaft haben auch Sie persönlich. Sie haben
ja sogar ein Kamel zu Hause?
Das
stimmt. Als Bub wollte ich Bauer werden. Das ist mir gründlich vergangen,
als ich als Verdingbub erfahren musste, wie hart die Landwirtschaft ist.
Als wir nach Leuk kamen, hat meine Gattin mit eigenen Pferden ihren Kindertraum
erfüllt. Deshalb sind wir später in den Pfynwald umgezogen.
Hier kann ich mich erholen. Es ist ein Privileg, in einem solchen Refugium
zu leben. Aber hier engagiert sich vor allem meine Frau. Ich sage nur:
Wenn schon Leder, dann lieber in Form eines Fussballs
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